Frau Bidder, Häkelyoga und anderes Heilsames
Meine Mutter häkelte in den 70er Jahren ihre frustigen Hausfrauenjahre fort.
Bunte Wollreste wurden im Zickzackmuster oder auch in einzelnen Quadraten
zu farbenfrohen Decken oder Stolen verhäkelt.
Gerne Abends vor dem Röhrenfernseher.
Ja, damals gab es nur 3 Fernsehprogramme!
Langweiliges wurde weggehäkelt.
Das heute bekannte „Granny Square“ nannte sich nur Häkelquadrat.
Englisch hatten unsere Eltern noch nicht als Pflichtfach in der Schule.
Neumodisches Krams aus Amerika mußte nicht sein.
Für die Küche gab es Topflappen in allen erdenklichen Farben und Formen
und ihr werdet es nicht glauben: mein Erstlingswerk „Topflappen gestreift“ existiert noch heute
und schläft einen Dornröschenschlaf in unserer Allerleibesteckkrimskrams-Küchenschublade.
Gewaltige Gardinen in Filethäkelei aus dünnem Baumwollgarn folgten.
Ganz ohne Lesehilfe;-)
Mitte der 80er verschwand meine Häkelnadel in einer Kiste.
Auch bei anderen. Handarbeit war verpönt.
Hinfort mit den Strick-, Stick- und Häkelnadeln.
Das Revival erfolgte erst im neuen Jahrtausend mit dem verstärkten Aufkommen
des Internets und seiner unglaublich kontaktfreudigen Vielfältigkeit.
Eine globale Strick- und Häkelgemeinde erwachte.
Auch die ollen „Grannies“ zeigten sich plötzlich wieder und lösten ein Grannymania aus.
Kitschigbunte, alte Omaquadrate im angesagten Shabby-Chic passend zu nordischem Interieur.
Facebook, Instagramm, Pinterest, Ravelry.
Überall findet man wunderbar Selbstgemachtes: Muster, Anleitungen, Fotos, etc.
Handmade. Aus den eigenen Händen.
Warum?
Warum das Interesse plötzlich wieder am Häkeln?
Warum taucht das Interesse an der eigenen Handarbeit immer mal wieder auf
und taucht dann wieder in den nebulösen Untergrund der Jahrzehnte ab?
Warum häkelt und strickt und handarbeitet der Mensch überhaupt?
Ist es die heilsame Kraft der Maschen?
Eine Art Häkel- oder Strickyoga?
Genau! YOGA! Ich muß gerade lachen.
Fand ich doch vor einiger Zeit bei einer Bloggerin den Beitrag zu Yogasocken,
die unter der musikalisch rezitierten Begleitung (also selbstgesungen)
des Gayatri-Mantras gestrickt wurden.
Nicht nur fließt hier die Kraft der heilsamen Maschen,
sondern auch der meditative Kraftgesang in die Socke. WOW!
Aber ehrlich, nachdem ich bei Youtube das Gayatri-Mantra von Deva Premal & Miten gesehen
und gehört habe, gehört das Mantra zu einem meiner Musik-Entspannungsstücke.
Wunderschön auch das Video … nimm Dir mal Zeit dafür …einfach link anklicken !
Spaß beiseite. Wir leben in einem Jahrhundert der modernsten Technologie.
Da wird die sogenannte „Off-Line-Zeit“ immer kostbarer.
Ein interessanter Bericht des MDR (leider nicht mehr verfügbar)
entführt uns in das Reich der entspannenden Strickmaschen.
Aber was für das Stricken gilt, muss unweigerlich natürlich auch für das Häkeln gelten:
“Die Arbeit mit Wolle beseitigt Stress”, erklärt Dr. Herbert Benson
von der Harvard Medical School in seinem Buch “The Relaxation Response”. ”
Genau wie Meditation oder Beten ermöglicht Stricken
die passive Freisetzung abschweifender Gedanken”, so Benson.
Und während Meditation gelegentlich zu Depression führe, habe Stricken keinerlei Nebenwirkungen.
“Die rhythmische und monotone Qualität des Strickens, zusammen mit dem Klicken der Stricknadeln,
ähnelt einem beruhigenden Mantra. Die Gedanken können lose umher schweifen,
während sich der Verstand auf die Strickarbeit konzentriert.”
Psychologen bezeichnen Stricken deshalb als das neue Yoga.
Stricken und natürlich auch das Häkeln sind nicht nur Balsam für die Seele:
Sie sind auch Training fürs Gehirn, da beide Hirnhälften beansprucht werden.
Neben manueller Koordinationsfähigkeit sind die Talente eines Managers gefordert:
gestalterische Ideen und schnelle Problemlösungen.
Schon beim Befolgen von unter Laien und Anfängern der als unlesbar geltenden
Strick- und Häkelanleitungen kommt es auf Vorstellungskraft und Logik an.
Der tägliche Aufenthalt in einer digitalen Welt, lässt uns innerlich nach einer Individualität sehnen.
Stricken und Häkeln sind das radikale Gegenkonzept zur heutigen industriellen Massenware der großen Modeketten.
Frauen, die in ihrer Freizeit am liebsten kreativer Handarbeit, wie Nähen, Basteln oder Weben, nachgehen,
werden dadurch erfrischter und energiegeladener. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie.
Die Forscherinnen sprechen von „Verjüngung durch Handarbeit“.
(Werden jetzt meine grauen Haare vielleicht weniger???…)
Gestalterische Tätigkeiten könnten daher vermehrt zur Stressbewältigung eingesetzt werden.
Ann Futterman Collier lehrt Klinische Psychologie an der Northern Arizona University.
Zusammen mit Catya von Károlyi hat sie jetzt untersucht, wie sich Stricken, Häkeln oder Weben auf die Psyche auswirken.
Abgedruckt wurden ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts.
„Obwohl eine Vielzahl von Tätigkeiten die Stimmung verbessern können, sind künstlerische Aktivitäten,
die einen einnehmen, die anregen und helfen, die eigenen Wertvorstellungen zu verwirklichen,
effektiver, was die längerfristige Belebung angeht.“
Die Psychologinnen weisen darauf hin, dass kreativer Beschäftigung allgemein ein befreiendes und stärkendes Potenzial innewohnt.
Das sollte zur Stressbewältigung, im Coaching oder bei der Arbeitsgestaltung häufiger genutzt werden.
Quelle: WEB
Ann Futterman Collier (Northern Arizona University) & Catya von Károlyi (University of Wisconsin–Eau Claire). (2014). Rejuvenation in the “Making”: Lingering Mood Repair in Textile Handcrafters [Abstract]. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 8 (4), 475-485.
Warum also nicht im Büro mal während der Arbeitszeit (Chef/in wird sich freuenJ) ein paar erfrischende Häkel- und Strickminuten einlegen.
Oder vielleicht mal mit den Kollegen ein Origami falten?
dhiyo yo nah prachodayât –
Möge das göttliche Licht unseren heiligen Geist erleuchten!
Und wenn Euch die Geschichte des Häkelns interessieren sollte,
dem kann ich meine neue recherchierte Häkelhistorie ans Häkelherz legen.
Ein historischer Streifzug. Eine historische Reise.